Das Räderwerk der Selbstbestimmtheit

Samantha Bildstein, die Geschäftsführerin der OJAH, ist jung, weiblich und erfolgreich – und für die Mädchen der Offenen Jugendarbeit Hohenems ein Vorbild. Bildstein findet: MINT ist Teil des Alltags – und die Beschäftigung damit für manche Jugendliche vielleicht der Beginn einer Berufskarriere.

Was für Projekte bietet die Offene Jugendarbeit Hohenems im MINT-Bereich an?
Samantha Bildstein: Wir wollen eine Plattform im Internet anbieten, auf der Jugendliche nach Lehrstellen suchen können. Gleichzeitig sollen sie einen Termin zum Bewerbungscoaching mit uns vereinbaren können. Den Jugendlichen soll ein niederschwelliger und leichter Zugang ermöglicht werden. Andererseits
sollen sich auch kleine Betriebe mit Lehrstellen präsentieren können.
Seit 2009 bieten wir Jugendlichen kostenlos Bewerbungscoaching und Lernbegleitung an. Bei der Lernhilfe werden gemeinsam individuelle Lernmethoden entwickelt. Denn der eine Jugendliche ist mehr der visuelle Typ, die nächste geht übers Hören, der Dritte merkt es sich übers Rollenspiel. Und manche brauchen nur eine kompetente Ansprechpartnerin, die an ihrer Seite sitzt.
Beim Bewerbungscoaching unterstützen wir Jugendliche während des gesamten Bewerbungsprozesses. Angefangen von der geeigneten Lehrstelle, Arbeitsstelle, Schule oder Universität über die Erstellung eines Deckblatts, eines passenden Bewerbungsschreibens, eines Motivationsschreibens und Lebenslaufs bis hin zum Bewerbungsfoto und einem Training für den professionellen Auftritt. Was sage ich, wie ist meine Körperhaltung? Dazu arbeiten wir auch mit Videoanalyse. In der Vermittlung erzielen wir auf diese Weise sehr gute Ergebnisse. Die meisten begleiten wir bis zu ihrem Abschluss. Umso schöner ist es, wenn wir zu Zeugnis-Übergaben oder Maturabällen eingeladen werden.
Als zweites Projekt haben wir 2019 coronabedingt eine Online-Tauschbörse entwickelt. Wir wollen damit den Jugendlichen das Prinzip der Nachhaltigkeit nahebringen. Sie können Spielsachen, Kleidung, Bücher und Ähnliches auf die Plattform stellen und sie dann bis maximal 50 Euro verkaufen oder tauschen. Man trennt sich ja leichter von Dingen, wenn man weiß, sie werden noch jemand anderen glücklich machen. Durch den Tausch oder Verkauf dieser Artikel tragen sie zum nachhaltigen Umgang mit wertvollen Ressourcen bei. Wichtig war uns auch, dass sie den Tausch über uns und auch in unseren Räumlichkeiten abwickeln können. Für das MINT-Projekt wollen wir die Tauschbörse adaptieren. In Zukunft soll sie ganzjährig nutzbar sein.
Wir haben noch ein drittes MINT-Projekt geplant, und zwar die MINT-Ralley. Sie soll den Jugendlichen einen Tag lang näherbringen, was hinter den vier Buchstaben M-I-N-T steckt. Denn diese sind allgegenwärtig, ohne dass es den Jugendlichen vielleicht bewusst ist. Wir möchten auch den historischen Hintergrund vermitteln – wer war zum Beispiel Marie Curie –, und in städtische Handwerksbetriebe ebenso hineinschauen wie ins Hohenemser Rathaus. Was kann MINT alles sein? Vielleicht fängt der eine oder die andere dadurch Feuer.

Warum ist die OJAH bei MINT4all dabei?
Weil uns bei der OJAH die Sensibilisierung für Kunst, Kultur, Literatur, aber auch für MINT wichtig ist. Auch in diesem Bereich geht es uns darum, den Jugendlichen eine Welt zu eröffnen, die vielleicht die ihre werden kann – Potentiale zu stärken, Talente zu entdecken, Träume zu unterstützen. Das geht nicht, wenn sie gar nichts von dieser Welt wissen. Aus einem Interesse für etwas erwächst vielleicht ein Talent, eine berufliche Möglichkeit.

Was wollt ihr erreichen?
MINT begleitet uns alle in unserem Alltag, bewusst wie unbewusst. Wir möchten das Bewusstsein der Jugendlichen weiterentwickeln und ihnen durch die gezielte Auseinandersetzung und namentliche Nennung von „MINT“ neue Wege eröffnen.
Jede, jeder Jugendliche ist so individuell wie ihre oder seine Geschichte.
Wir können etliche Geschichten von Jugendlichen erzählen, wo es nur jemanden brauchte, der an sie glaubt, und zwar, wenn sie den Glauben an sich selbst oder die Welt verloren haben oder sonst niemand an sie geglaubt hat. Es gibt nichts Schöneres, als sie auf ihrem individuellen Weg zu begleiten und dann zu sehen, wie sie ihre Berufung gefunden haben. In dieses Räderwerk passt das Rädchen „MINT“ sehr gut hinein.

Wie sprecht ihr die Kinder und Jugendlichen an?
Einerseits bewerben wir die Projekte digital. Andererseits sprechen wir die Kinder und Jugendlichen direkt darauf an. Die Informationen sollen für alle gleichermaßen zugänglich sein – barrierefrei im realen wie im digitalen Raum.

Wie sprecht ihr gezielt Mädchen an?
Letztendlich fängt Mädchenarbeit bei einer guten Jungenarbeit an… Wir legen viel Wert darauf, unsere Mädchen unter anderem in der spezifischen Mädchenarbeit zu stärken und mit ihnen intensiv an unterschiedlichen Themen, welche sie beschäftigen, zu arbeiten. Dies hat es zur Folge, dass unsere Mädchen zum Großteil sehr selbstbewusst sind. Sie versuchen und trauen sich Dinge zu, die ihnen eigentlich gesellschaftlich (noch immer) nicht zugetraut werden, und das ist gut so! Derzeit besteht unser Team rein aus Frauen, und wir leben ihnen vor, was es heißt, weiblich und taff zu sein. Somit haben wir überhaupt keine Bedenken, dass sich hierfür keine Mädchen interessieren könnten, im Gegenteil!

Was gibt es für ein Feedback/wie entwickeln Sie die Projekte weiter?
Wir holen uns immer die Rückmeldungen der Jugendlichen, gestalten Gespräche, Diskussionen, holen über die digitalen Plattformen wie Instagram oder WhatsApp das digitale Feedback ab. Das ist zum Beispiel auch so ein Punkt: Jugendliche nutzen ihr Handy nur punktuell, und nur in der Freizeit. Wir zeigen ihnen, wie sie es auch anderweitig nutzen können – in der Berufswelt, beim Lernen und so weiter. Nicht nur zum Feedback Geben, sondern zum Recherchieren. Auch hier dürfen sie ausprobieren und – was wichtig ist – auch mal scheitern.

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